Pressemitteilung zum Prozess gegen Jan R. vor dem Landgericht

Pressemitteilung 02/01:

Berufungsverhandlung zum Freispruch für Totalen Kriegsdienstverweigerer am Landgericht Hamburg wird fortgesetzt

 Hamburg / Frankfurt a.M. / Dresden, 07.05.01.          Die Berufungsverhandlung gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Jan R. wird vor dem Landgericht Hamburg (Kapstadtring 1, Anbau) am Donnerstag, dem 10.05.01, um 9:00 Uhr fortgesetzt. R. war am 03.11.00 vom Amtsgericht Hamburg-Harburg überraschend vom Vorwurf der 'Dienstflucht' vom Zivildienst (§ 53 Zivildienstgesetz) aufgrund der in Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) garantierten Gewissensfreiheit freigesprochen worden. Es handelte sich dabei um den ersten auf dieser Grundlage basierenden Freispruch für einen Totalverweigerer seit fast fünfzehn Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen dieses Urteil Rechtsmittel eingelegt.

 Schon  das  Vorfeld  des  Verfahrens  war  von  harschen Auseinandersetzungen mit dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Michael Kaut geprägt. Zunächst hatte der Vorsitzende sich unter Ignorierung jeder hierzu ergangenen Rechtsprechung geweigert, einen zunächst auf den 06.03.01 gelegten Hauptverhandlungstermin aufzuheben, zu dem einer der beiden Verteidiger (Detlev Beutner, Frankfurt a.M., & Jörg Eichler, Dresden) verhindert war. Erst auf die Verhinderung des Angeklagten selbst hin hob der Richter den Termin auf. Ein erstes Ablehnungsgesuch wegen der Besorgnis der Befangenheit blieb dennoch erfolglos.

 Eine Woche vor dem ersten Termin zur Berufungshauptverhandlung am letzten Montag, dem 30.04.01, erließ der Vorsitzende Richter nunmehr eine  "Sicherheitsverfügung",  in  der u.a. - obwohl schon die Verhandlung am Amtsgericht ohne jeden Zwischenfall verlief – die Kontrolle aller BesucherInnen angekündigt und darüberhinaus ausgeführt wird, daß selbst dann mit der Verhandlung begonnen werden würde, wenn noch nicht alle zu kontrollierenden ZuschauerInnen Einlaß gefunden hätten. Dies wäre aber ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit  gewesen;  ebenso  die  Ankündigung,  daß  nur Pressevertreter  berechtigt seien, Schreibutensilien in den Saal mitzunehmen. Wegen dieser Ankündigung rechtswidriger Maßnahmen wurde am 23.04.01 ein zweites Ablehnungsgesuch gegen den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit eingereicht. Auch dieses Gesuch wurde als unbegründet abgewiesen. Der nunmehr bereits zum zweiten Mal für die Befangenheitsentscheidung zuständige Richter Borwitzky weigerte sich dabei ausdrücklich, die explizite Ankündigung rechtswidriger Maßnahmen auch nur einer Kontrolle zu unterziehen, ob hierdurch die Besorgnis der Befangenheit begründet sein könnte.

 Am Montag, dem 30.04., hatte sich Kaut dann aber wohl darauf besonnen, zumindest die schwersten und offensichtlichsten Rechtsbrüche zu unterlassen. So begann die Hauptverhandlung erstmals um 10:53, nachdem  die  rund  70  BesucherInnen  beim  Einlaß  strengen Sicherheitskontrollen unterzogen worden waren. Allerdings weigerte sich das Gericht, die drei dienstlich anwesenden PolizeibeamtInnen in Zivil aus dem Saal entfernen zu lassen. Obwohl das Landgericht Hamburg 1980 in einer solchen Handlung einen Befangenheitsgrund gesehen hatte, entschied Richter Borwitzky auf das nunmehr dritte Ablehnungsgesuch, daß die Polizei selbst Teil der Öffentlichkeit sei! Der Vorsitzende Richter Kaut verstieg sich zu der Aussage, daß schließlich jedermann "nach Maßgabe der Sicherheitsverfügung vom 20.04.01 gestattet" sei, "als Zuschauer an der öffentlichen Hauptverhandlung teilzunehmen, sei er nun Deutscher oder Ausländer, Jude oder Christ, Student oder Schüler, Ingenieur oder Polizist."

 Inhaltlich kam es erst gegen 13:20 Uhr zu einem Beginn der Hauptverhandlung. R. klärte in einer knappen Stunde über die Hintergründe  seiner  Totalen  Kriegsdienstverweigerung  auf: Der Zivildienst sei tatsächlich ein militärisch relevanter Ersatzdienst, der in die "Zivile Verteidigung", die zusammen mit der militärischen Verteidigung die sogenannte "Gesamtverteidigung" bildet, eingebunden sei. Daneben sei dieser Ersatzdienst keineswegs sozial, sondern vernichte im Gegenteil Arbeitsplätze im sozialen Bereich und störe bzw. zerstöre darüberhinaus die Strukturen in diesem empfindlichen Arbeitsmarkt nachhaltig.

 Nach wenigen Rückfragen durch Staatsanwalt Gies und Richter Kaut stellten die Verteidiger einen Beweisantrag, der die militärische Verplanung untermauert. Über diesen Antrag wird jedoch erst am kommenden  Donnerstag  in  der  Fortsetzung der Hauptverhandlung entschieden. Weiteren Konfliktstoff hat der Vorsitzende Richter gleich mit auf den Weg gegeben: Die "Sicherheitsverfügung" bleibt – obwohl nun auch die Verhandlung am Landgericht gezeigt hat, daß vom Publikum nicht  die  geringste  "Gefahr"  ausgeht  -  in  weiten Teilen aufrechterhalten.  Die  Verteidigung  hat  daher  einen weiteren Ablehnungsantrag wegen der Besorgnis der Befangenheit gegen Kaut gestellt.

Az:

 711 Ns 10/01 - LG Hamburg

 619 Ds 32/00 - AG Hamburg-Harburg

 7303 Js 220/99 - StA Hamburg

--------------------------------------------------

"Justitia hat eben nicht nur eine Waage, sondern auch ein Schwert."

(AG Essen, Beschl. v. 14.03.00, 67 Ls 29 Js 311/99)

Ohne Uns - Rundbrief zur Totalen Kriegsdienstverweigerung

c/o Jörg Eichler

Ludwigstraße 6

01 097 Dresden

Tel/Fax: 0351 / 8 01 49 89

email: Joerg.Eichler@ohne-uns.de

oder: je519121@rcs.urz.tu-dresden.de

http: www.ohne-uns.de

Bankverbindung:

Jörg Eichler

Kto.Nr. 236 326 903

BLZ: 860 100 90

Postbank Leipzig

--------------------------------------------------